Bericht im "Grenz-Echo" (deutschsprachige Tageszeitung in Ostbelgien)

Theatergruppe ImPuls spielt künftig in der obersten Kategorie


Stück »Scherben« schnitt in ein höchst empfindliches Tabu


Mürringen. - Es war schon ein Wagnis, das Tabuthema Tod in einem Theaterstück anzugehen. Und dann auch noch zur Premiere: Nicht nur dieser Inszenierung, »Scherben«, sondern als Premiere der neu formierten Theatergruppe ImPuls überhaupt. Aber mit ihrem Stück über das Leben vor, mit und nach dem Tod überzeugte die Gruppe um die beiden Regisseure Alfred Velz und Roger Roth sowohl das Publikum als auch die Juroren.

Collage

Mit einem anonymen Totenzettel und Rosenkranzgebet wird das Publikum im Saal begrüßt. Bedrückende Stimmung, alles ist schwarz. Und die Beerdigungsstimmung trügt nicht: Eine bizarre Totengesellschaft marschiert auf die Bühne und jemand wird zu Grabe getragen. Die Trauergäste tragen weiße Masken, zeigen keine Regung. »Scherben« beginnt da, wo eigentlich alles endet: Beim Tod. Aber zuerst einmal dreht das Theaterstück die Uhr um einige Jahre zurück, dahin wo alles anfängt: Zur Geburt.

Vergangenheit

Mit großen Kalenderblättern orientieren die Akteure die Zuschauer im zeitlichen Ablauf. Die »Uhr« läuft, bis zum Heute und in die Zukunft,... doch das kommt später. Zunächst öffnet sich in der Bühne ein kleines Fenster, in dem - hinter schwarzem Vorhang - das Leben von zwei Generationen in einzelnen Bildsequenzen vorbeizieht. Geburt, Familiengeschichte, ein Unfall, Hochzeit, zwei weitere Geburten,... bis die Zuschauer »heute« ankommen. Und genau heute wendet sich das Blatt: Zeigte »Scherben« bisher in lockerer Bilderfolge, stellenweise auch mit viel Humor ein Stück Familienchronik und Alltag, nimmt die Produktion fortan eine tragische Wende.

Wende

Auf dem Rückweg von der Disco verunglückt die 20jährige Jenny tödlich. Die Nachricht trifft die Zuschauer wie ein Schlag ins Gesicht: Für Jennys Freudinnen, mit denen sie eben noch in der Disco getanzt hat, bleibt die Welt stehen, aus dem Off hört man das Telefon klingeln. Einfacher geht es nicht von der Darstellung her, wirkungsvoller geht es aber auch nicht. Ein betroffener, aber pflichtbewußter Gendarm liefert die »trockenen« Fakten des Unfalls: »Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen, Unfallursache ungeklärt«. Und dann wird das Publikum erst einmal im Dunkeln mit Musik von Sting (»Fragile«) alleine gelassen.

Gründe, Fragen, Schuld

Was kommt nach dem Tod? Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer - von ImPuls übrigens als solches szenisch sehr treffend umgesetzt. Weiter geht es mit Fragen: Nach dem Grund, nach der Schuld... Irgendwann bleibt die Zeit stehen, läuft die »Uhr« weiter ohne Jahreszahlen. Übrig bleibt den Freunden eine Mülltüte voller Erinnerungen, den Eltern die »Familienbande« mit der Tochter über den Tod hinaus. In einer der schwersten, aber auch tiefgängigsten Szenen symbolisieren Eltern und Schwester der verstorbenen Jenny ihre Gefühle und über den Tod hinausgehende Verbindung zu Jenny mit weißen Bändern.

Trauerbewältigung

Der unterschiedliche Umgang der einzelnen Personen mit der Trauer um Jenny und allgemeine Reflexionen zum Tod runden »Scherben« mit einer melancholisch-ästhetischen Schlußszene ab. Zurück blieben beeindruckte, aber auch stark betroffene Zuschauer... das Konzept hat funktioniert. Das Gespräch über den Tod und die Auseinandersetzung mit dem Tod wollte die Gruppe mit dieser Inszenierung anregen. Vorbei gegangen ist »Scherben« wohl an niemandem: Bei der Premiere am Samstag seien verschiedene Zuschauer aus dem Saal gegangen, hieß es... wohl kaum aus Protest; Sonntag flossen bei vielen Zuschauern Tränen und war allerorts Betroffenheit zu spüren.

Gelungene Premiere

Thematisch, aber auch szenisch hat die junge Gruppe unter der Gesamtleitung von Roger Roth und Alfred Velz mit dieser ersten Produktion also voll ins Schwarze getroffen. Eine tiefe, aber zu jedem Zeitpunkt verständliche Symbolik, originelle Ideen zur Umsetzung und eine sehr fundierte Auseinandersetzung mit der Thematik kommen der Inszenierung sehr zugute.

Und dies spürten nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Juroren: Mit ihrer Produktion wurde die Theatergruppe ImPuls sofort in die oberste Kategorie unter den Amateurtheatern in der Deutschsprachigen Gemeinschaft eingestuft.


© 17.11.1998 Grenz-Echo

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